Ein neues Urteil des LG München I vom13.11 .2014 (AZ.: 15 S 7629/13), wonach Bewohner eines Mehrfamilienhauses das Schlagzeugspielen eines Mitbewohners nicht grundsätzlich verbieten können; es andererseits aber nur bis zu 30 Minuten täglich dulden müssen, hat zu einer kontroversen Debatte darüber geführt , ob dieser Zeitrahmen zu eng , zu weit oder vielleicht doch angemessen ist.
Uraltes Streitthema
Dieses Streitthema ist nicht neu: "Musik wird störend oft empfunden, derweil sie mit Geräusch verbunden, meinte schon Wilhelm Busch. Der Schriftsteller Kurt Tucholsky formulierte es schon im Jahre 1912 in der SPD-Parteizeitung "Vorwärts" noch wesentlich drastischer: "Wenn einer zu stumpf ist, je ein ordentliches Buch zu lesen, zu dumpf, sich um Politik zu kümmern: Musik wird in seinem Haus gemacht. Er tut es sicher nicht um seine Mitmenschen mit der fertigen Leistung zu erfreuen. Es ist eine Liebe, aufgeblasene Eitelkeit, die uns das Leben, nein, die Wohnung zur Hölle macht. Künstler tun das nicht. Es sind bourgeoise Dilettanten, die sich und die Musik überschätzen. Man sollte sie in ihre Klaviere sperren." Weniger emotional formuliert sind die zahlreichen Gerichtsentscheidungen zu diesem Thema.
Ein Überblick:
Der grundsätzliche Unterschied bei Störungen durch sog. Tonwiedergabegeräte (z.B. Radio, TV etc.) und Musikinstrumenten liegt darin, dass sich die Lautstärke von Tonwiedergabegeräten regulieren lässt; die von Musikinstrumenten in der Regel nicht. Dementsprechend ist nach der Rechtsprechung bei Tonwiedergabegeräten grundsätzlich Zimmerlautstärke einzuhalten (dazu LG Hamburg, 317 T 48/95). Anders bei Musikinstrumenten, bei denen diese Zimmerlautstärke nicht eingehalten werden kann. Hier wird von den Gerichten eine Interessenabwägung vorgenommen zwischen dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit des Nutzers und dem Ruhebedürfnis der Nachbarn mit der Folge, dass die Benutzung von Musikinstrumenten in der Wohnung nicht grundsätzlich untersagt werden kann; allerdings zeitliche Einschränkungen auferlegt werden können (so BGH, V ZB 11/98, WuM 1998, S. 738). Der Umfang der Einschränkungen hängt nach der Rechtsprechung in erster Linie von der Lautstärke des Musikinstruments ab (von der Gitarre über Klavier bis zum Schlagzeug); ferner aber auch von den baulichen Gegebenheiten, d .h. von der Entfernung des Nachbarn, dem Schallschutz des Gebäudes und nicht zuletzt von der Struktur der Bewohner.
Einzelfälle:
Die häufigsten Entscheidungen gibt es zum Klavierspiel. Hier reicht die Band breite der Entscheidungen von 1 % Stunden täglich (z.B. AG Frankfurt/M., Urteil v. 22.5.1996) über 2 Stunden täglich (OLG Düsseldorf v. 19.12.2005, 1-9 U 32/05) bis zu 3 Stunden täglich (BayObLG 2 ZBR 55/95 sowie LG Frankfurt/M ., Urteil v. 12.10 .1989); nach LG Düsseldorf (Urteil v. 22 .12.1989,22 S 574/89) allerdings nur bis 20 Uhr (wochentags) bzw. 19 Uhr (Wochenende, Feiertag), wobei einmal pro Monat auch bis 21.30 Uhr gespielt werden darf. Ferner können Hausordnungen auch die Einhaltung einer Mittagsruhe (13 bis 15 Uhr) vorschreiben (LG Frankfurt/M., Urteil v. 12.10.1989, 25 0 359/89) . Saxophon / Klarinette dürfen nach einem Urteil des OLG Karlsruhe vom 13.4.1988 (6 U 30/87) wochentags maximal 2 Stunden, sonntags maximal 1 Stunde gespielt werden. Auch beim Schlagzeug sind manche Gerichte großzügig, so z.B. das LG Freiburg, Urteil v. 19.3.2003, wonach in einer Wohnungseigentumsanlage die Musikausübung eines Schlagzeugers auf täglich 2 Stunden, aufgeteilt auf je 1 Stunde vormittags bzw. nachmittags beschränkt ist. Dazu auch das LG Nürnberg/ Fürth (13 S 529690: 1 % Stunden täglich). Akkordeon darf nach einem Urteil des LG Kleve vom 1.10.1991 (6 S. 70/90) 1,5 Stunden täglich gespielt werden. Die genannten Zeiten gelten auch für Berufsmusiker.
Einschränkung durch Haus- und Gemeinschaftsordnungen
Zahlreiche Gerichtsentscheidungen befassen sich mit der Frage, inwieweit z.B. Hausordnungen (in Mietverträgen) oder Gemeinschaftsordnungen (in WEG) die Musikausübung einschränken dürfen. Hier ist von den Verfassern /Verwendern zu beachten, dass sich die angeführten Ruhezeiten in der Bandbreite der von der Rechtsprechung genannten Zeiten bewegen; anderenfalls ist die Klausel wegen der zu weit gehenden Einschränkungen insgesamt nichtig (so OLG Hamm, 15 W 122/80). Ist die Musikausübung in einer Hausordnung wirksam festgelegt, muss sich der Musikausübende (hier: Geigenspieler) an die fest gelegten Zeiten halten. Gleichzeitig folgt aus einer solchen Hausordnung jedoch auch sein Anspruch auf Duldung des Musizierens durch andere Mieter während der in der Hausordnung geregelten Zeiten (OLG München, Urteil v. 21.1.1992, 13 U 2289/91, DWW 1992, 339). Nach einem weiteren Urteil des OLG Stuttgart (8 W 68/97) kann die Eigentümerversammlung in der Hausordnung eines Mehrparteienhauses regeln, dass Musik (hier: Saxophonspiel) nicht in der Zeit von 12 bis 14 Uhr und nicht von 20 Uhr bis 8 Uhr gespielt werden darf.
Regressansprüche des Vermieters
Häufige Streitpunkte sind auch die Minderung der Miete durch Mieter, die sich von der Musik des Nachbarn gestört fühlen. Der Vermieter ist hier in Zugzwang, obwohl er selbst - da er meist nicht im Hause wohnt - nicht betroffen ist bzw. sich nicht gestört fühlt. Trotzdem ist er verpflichtet, seinem Mieter den sog. Vertragsgemäßen Gebrauch der Mietwohnung zu gewährleisten und daher gegen den Störer, der außerhalb der üblichen Zeiten Lärm macht, vorzugehen. Hat der Mieter die Miete wegen des Lärms zu Recht gemindert, hat der Vermieter einen Schadenersatzanspruch in Höhe der Minderung gegen den Störer. Dabei sollte der Vermieter, um unterschiedliche Gerichtsentscheide zu vermeiden, im Minderungsprozess mit dem Mieter dem Störer den Streit verkünden; anderenfalls kann es dem Vermieter passieren, dass das Gericht im Minderungsprozess, den Lärm als gravierend ansieht und eine Minderung für zulässig erachtet; das andere, für den Schadenersatzprozess zuständige Gericht das Ganze aber nicht als so schlimm empfindet und die Schadenersatzklage daher abweist. Für den Vermieter in jedem Fall nur Ärger, Unannehmlichkeiten und Kostenrisiken. Zutreffend ist daher das neue Urteil des BGH vom 10.4.2013 (VIII ZR 213/12), wonach der Mieter keinen Anspruch darauf hat, dass ihm der Vermieter die Erteilung von Musikunterricht in der Mietwohnung (hier: Gitarrenunterricht) gestattet; und der Vermieter im Falle der Zuwiderhandlung zur Kündigung des Mietverhältnisses berechtigt ist. Rechtsanwalt Rudolf Stürzer
Präsentiert von Ihrem Immobilienmakler aus München aus der Bayerischen Hausbesitzer-Zeitung, Januar 2015